Es gibt Momente im Leben, die Entscheidungen erfordern, für die es nicht immer möglich ist, sich die nötige Zeit zu nehmen. In diesen Fällen verlangt die Situation eine schnelle Stellungnahme. Unabhängig davon ist es immer von Vorteil, genau zu wissen, welche Richtung man einschlagen will.
Diese und andere kaum sichtbare, aber entscheidende Kleinigkeiten verändern eine Kampfsituation.
Eine geschärfte Wahrnehmung, also genau zu wissen was man tut, ohne aber die Gesamtübersicht zu verlieren, ist ausschlaggebend. Parallel dazu darf währenddessen nicht gedacht werden, um die eigenen Fähigkeiten nicht einzuschränken. Der Körper hat automatisiert, was getan werden muss. Eine gedankliche Auseinandersetzung mit der Situation würde sich wie ein Hemmschuh auswirken, denn Reaktionen, die den Umweg über den Kopf nehmen müssten, würden zu spät kommen.
Anspruchsvollere Kämpfe werden mit einer kontrastreichen Einstellung geführt, ohne dass diese dabei aktiv eingeschaltet wird. Sowohl die Details als auch die gesamte Handlung sollten sich spontan ergeben, indem der jeweilige Augenblick genutzt wird. In jeder Situation genau zu wissen, was er erreichen will, um somit stets handlungsbereit zu sein, stellt daher für den Budôka ein bedeutendes Anliegen dar, das er ebenso zu einem Bestandteil seines Alltags zu machen sucht. Auch in diesem Fall bietet ihm die im Dôjô gesammelte Erfahrung eine Lehre fürs Leben. In übertragenem Sinne bedeutet Kampf nicht nur körperliche Konfrontation, sondern auch Gedankenaustausch, Meinungsäußerung oder Stellungnahme.
Um sagen zu können, dass man friedlich ist, muss man kämpfen können. Wer nicht kämpfen kann, wird nie wissen, ob er friedlich ist.
Jahrelanges Lernen einer Kampfkunst formt den Budôka in seinem Selbstbewusstsein. Je nach Charakter und Sichtweise wird der eine denken, dass er fähig sei, sich selbst zu verteidigen. Ein anderer wiederum wird selbst nach jahrzehntelanger Praxis behaupten, dass er im Ernstfall nicht in der Lage wäre, sich effektiv verteidigen zu können. Unabhängig von den individuellen Einstellungen ist es eine Tatsache, dass der ständige Umgang mit einer Kampfkunst unter anderem auf körperliche Auseinandersetzungen vorbereitet.
Hier wird die Notwendigkeit, „kontrastreich“ handeln zu können, besonders deutlich. Der Budôka kann auf eine intensive Übung zurückblicken und besitzt die Fähigkeit,
seinen Körper mit großer Wahrscheinlichkeit erfolgreich einzusetzen, aber gerade deswegen muss eine Konfrontation vermieden werden. Im Idealfall kann die kommende Gefahr vorzeitig erkannt und ihr in einer potenziell unangenehmen Situation bereits vor ihrem Zustandekommen ausgewichen werden.
Aufgrund seiner friedlichen Einstellung versucht der traditionelle Budôka eine Auseinandersetzung grundsätzlich zu vermeiden. Dies entspricht der Lehre jeder Kampfkunst, die den Körper auf Technik und den Geist auf Ruhe trainiert. Der Versuch, diese beiden Komponenten in Einklang zu bringen, stellt einen anspruchsvollen Weg dar, an dessen lohnendem Ende ein ausgeglichener Mensch stehen wird. Seine Einstellung mag allerdings noch so friedlich sein, wenn absolut alles versucht wurde und die Konfrontation sich als unausweichlich erwiesen hat, entscheidet der Budôka sich mit derselben strengen Konsequenz, eine Herausforderung anzunehmen und genau wie ein Samurai früher kompromisslos zielorientiert vorzugehen.
Aus dem Buch: Der Pfad der Flexibilität / Einführung des Kapitels „Das Wachsen“
Quelle: http://www.budo-books.com/category/blog/
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